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Der Kinderwagen: Vom Luxusartikel zum Alltagsprodukt

Altes von von Rädern eines Kinderwagen

Er ist Fahrzeug, Bett und Einkaufswagen in einem, der beste Freund frischgebackener Mütter und Väter und ein treuer Begleiter in den ersten Monaten nach der Geburt eines Kindes – der Kinderwagen. Seine Freunde Buggy, Sportwagen und Jogger begleiten die Familie sogar noch in den ersten Lebensjahren des Nachwuchses. Grund genug, einen Blick auf die spannende Geschichte des Kinderwagens zu werfen.

Die Geburtsstunde des Kinderwagens

Wann genau der erste Kinderwagen erfunden wurde, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Die Aufzeichnungen in den Kinderwägen-Geschichtsbüchern beginnen mit dem ersten Patent für den praktischen Alltagsbegleiter, das im Jahr 1853 in England angemeldet wurde. Der „Perambulator“ wurde von Charles Burton in London erfunden und ähnelte laut dem deutschen Kinderwagenmuseum eher dem heutigen Sportwagentyp als einem Kinderwagen für Säuglinge – er war eher für Kleinkinder geeignet.

Am europäischen Festland war Ernst Albert Naether aus dem deutschen Zeitz etwa zur gleichen Zeit der Pionier unter den Kinderwagenherstellern. Er brachte die Idee des Kinderwagens von seinen Wanderungen durch Europa mit nach Deutschland und machte sie dort mit seinem gleichnamigen Unternehmen populär. Sein Kinderwagen-Modell war für Säuglinge gedacht und wurde gezogen statt geschoben. Es bestand aus einem Kasten aus Korbgeflecht und einem Fahrgestell mit einer Deichsel.

Prinzipiell stand zu dieser Zeit das Design der kleinen Wägen noch nicht im Mittelpunkt – so konnten manche Modelle etwa leicht mit Krankenstühlen verwechselt werden und waren wohl für die kleinen Passagiere wenig anziehend.

Schieben oder Ziehen?

Schon um 1870 wurden die ersten Schiebe-Modelle entwickelt, wie man bei beim deutschen Kinderwagenhersteller Teutonia weiß. In der deutschen Stadt Zeitz florierte die Kinderwagenindustrie und der Ort entwickelte sich neben England zum europäischen Hotspot in Sachen Entwicklung und Export – 1877 gab es bereits zwölf Kinderwagenhersteller. Ein Produzent, der 1864 in Zeitz gegründet wurde ist Zekiwa. Das Unternehmen besteht noch heute, auch wenn die Produktion mittlerweile aus Kostengründen nach Fernost ausgelagert werden musste.

Ebenfalls um 1870 waren die ersten Kinderwägen in Wien zu sehen, wie die Ausstellung „Baby an Bord. Mit dem Kinderwagen durch das 20. Jahrhundert" im Wien Museum im Jahr 2007 bewies. Noch waren die Modelle jedoch teuer, weil sie von Hand gefertigt wurden. Dementsprechend wurden sie von wohlhabenden Bürgern gekauft und galten beim Spaziergang im Park als eine Art Statussymbol – ärmere Bevölkerungsschichten mussten ihre Kinder dagegen weiterhin tragen.

Kinderwagen um 1910

Foto von Kinder einer Familie aus der Amerikanischen Kolonie in Jerusalem zwischen 1905 und 1913

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich die Kinderwagenproduktion auch in den USA erfolgreich entwickelt. Ab 1900 war die Idee so weit verbreitet, dass laut Kinderwagenmuseum schon viele Industrienationen über eigenen Produktionen verfügten – die Zentren blieben aber weiterhin England, Deutschland und die USA.

Umbruch am Kinderwagenmarkt

Erst in den 1920er und 30er Jahren konnte sich der Durchschnittsbürger einen Kinderwagen leisten – das Gefährt wurde beinahe schon zum Massenprodukt. Die auch in Österreich florierende Kinderwagenproduktion wurde im Verlauf des Zweiten Weltkriegs jedoch ebenso wie in Deutschland zugunsten der Kriegsgüter-Herstellung zurückgefahren. Zahlreiche jüdische Kinderwagenhersteller mussten zudem flüchten, wenn sie nicht zuvor in die KZ-Gefangenenlager gebracht wurden.

Ein österreichischer Kinderwagenhersteller, der 1948 gegründet wurde und bis heute existiert, ist Hoco. Bis Anfang der 1970er Jahre stellte das oberösterreichische Unternehmen ausschließlich Kinderwägen her und begann dann zusätzlich mit dem Großhandel von Babyartikeln.

Silver Cross Werbeplakat

Werbeplakat der englischen Kinderwagenmarke "Silver Cross", leider ohne Datierung

Dass der Markt für Kinderwägen ebenfalls von Preiskampf und Konkurrenzdruck betroffen ist, zeigt nicht nur der große Schwund an Herstellern, sondern auch die Auslagerung vieler Produktionen ins Ausland. Wie Zekiwa verlegte auch Hoco die Produktion zu einer Partnerfirma nach Fernost, die Entwicklung erfolgt weiterhin in Österreich.

Neues Jahrhundert, neues Design

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts veränderte sich das Design der Kinderwägen maßgeblich. Die Räder wurden kleiner, die Wägen bestanden aus Korb, Holz oder Stahlblech, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde aus Materialmangel auch Presspappe eingesetzt. Allmählich gab es verschiedene Verzierungen an den Kinderwägen, Modelle zum Zusammenklappen, mit abnehmbaren Rädern und verstellbaren Rückenlehnen wurden entworfen. Was Ende der 1930er noch wie ein tiefliegendes Auto in Miniaturform aussah, entwickelte sich bis in die 1960er zu höher gelegenen, bequemen Bettchen auf Rädern, die auch mehr Platz für das Kind boten. 

Ende der 1960er Jahre wurde der zusammenklappbare und im Vergleich zu Vorgängermodellen leichte Buggy auf den Markt gebracht. Er zeigte die flexible Seite der Kinderwägen auf, ihm folgten Sportmodelle, die unter anderem zum Joggen mit Kinderwagen einluden. In den vergangenen Jahrzehnten wurde neben ständigen Veränderungen des Design außerdem Wert auf die Ausarbeitung von Sicherheitsstandards gelegt.

Seit den 1970ern entwickelte sich der Kinderwagen zunehmend zum modischen Accessoire. Mittlerweile finden sich Modelle, die von Hollywoodstars genutzt werden, in Klatschzeitungen wieder und sind bald darauf auch auf heimischen Straßen zu sehen. Heute gibt es für jeden Geschmack den passenden Kinderwagen und obendrein Zubehör wie Regen- und Sonnenschutz oder Trittbretter für ältere Geschwister.

Webtipps:
http://www.deutsches-kinderwagenmuseum.de
http://www.teutonia.de
http://www.zekiwa.de
http://www.hoco.at

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